Musik für eine gewisse Ewigkeit: Louise Gold im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Musik für eine gewisse Ewigkeit: Louise Gold im Klangverführer-Interview

Lina Liebhund, deren Umbenennung in Kira Chaosköter nur noch eine Frage von Tagen ist, ist nicht gut drauf. Anstatt ihrer Vorliebe für Männer in Uniform bei den nicht wirklich amüsierten Polizeibeamten auf dem Alexanderplatz nachgehen zu können, musste sie betreffs Streicheleinheiten mit dem weitaus willigeren Security-Mann der Sparkasse vorlieb nehmen. Louise Gold ist dagegen ziemlich gut drauf, als sie uns zum Interview in einer kleinen Café-Kneipe in jener Gegend trifft, die von Leuten, die sich für hip halten, immernoch gern als „Kreuzkölln“ bezeichnet wird, wo wir über das Debütalbum von ihr und dem Hans-Quarz-Orchester sprechen wollen. Ihren Humor verliert sie selbst dann nicht, als Lina zeigt, wie man mit einer einzigen beiläufigen Schwanzbewegung den Couchtisch elegant abräumen kann. Ich verliere meine gute Laune allerdings beinahe, als ich bei der Abschrift des Interviewbandes feststelle, dass manche Stellen durch ein ostblockagentenmäßiges Knirschen und Knacken nahezu unhörbar gemacht wurden – nämlich in jenen Momenten, als Lina während der Aufnahme versucht, unter dem Couchtisch hindurchzukriechen um sich von Louise streicheln zu lassen. Das tut diesem schrecklich charmanten Interview allerdings keinen Abbruch – und gestreichelt wurde Lina von Louise schlussendlich auch noch.

Lesen Sie über stilechte Fünfziger- und Sechzigerjahre-Sounds inklusive Elvis-Echo vom Band-Hall-Gerät, die Jazzpolizei, warum der Bossa Nova nun einmal Schuld und Debut, auch wenn es (auch) auf CD erscheint, eigentlich eine dem Albumkonzept folgende Schallplatte ist, erfahren Sie, was es mit dem Singenlernen durch Hören auf sich hat und begleiten Sie Louise Gold auf einer ihrer Bergtouren durch Südtirol, die ihr die Inspiration für eines iher Stücke eingegeben hat, dessen Hintergrundgeschichte man nie vermutet hätte, wie es da so locker im Easy-Listeing-Gewand daherkommt. Letzten Endes geht es nämlich auch bei Louise Gold um nichts Geringeres als die Besessenheit von der Idee, ein Stück weiter, ein Stück höher zu kommen als jeder andere Mensch zuvor. Und dort eine nahezu himmlische Ruhe zu finden.

Ein Stück weiter gegangen ist auch Freddy Mercury mit seinen symphonischen Rocksongs, die die Klanglandschaft der späten Siebziger revolutionierten. Von Louise Gold wird er als Songwriter und Entertainer zu dem Maße verehrt, dass sie auf der Vinylversion von Debut eines seiner Lieder covert – und zwar im typischen Retro-Bigband-Gewand von Louise Gold & the Quarz Orchestra. Sie als treuer Klangblog-Leser können ein handsigniertes Exemplar davon gewinnen – und zwar pünktlich zum Erscheinen des Albums am 26. April 2013. Weitere Infos dazu folgen später. Erst einmal aber viel Spaß mit dem Interview!


Das große Gähnen täuscht: Was Louise Gold zu erzählen hat, ist alles andere als langweilig!

Klangverführer: Ihr habt das aktuelle Album von Louise Gold & The Quarz Orchestra schlicht „Debut“ genannt. Wolltet ihr damit alles, was euch als Einzelpersonen bislang musikalisch ausgemacht hat, auf null setzen?

Louise Gold: Es hat eigentlich eher etwas damit zu tun, dass ich persönlich noch gar keine Platte veröffentlicht habe. Ich fand es insofern lustig, weil ich mittlerweile nicht mehr so superjung bin – dieses Debüt mit achtunddreißig war mir wichtig. Und bei Hans Quarz ist das ja im Grunde genommen genauso: Genau wie ich hat er auf ein paar Platten mitgespielt und ist auf ein paar Compilations vertreten, aber so eine richtige eigene Platte … Das ist für uns beide die erste, das heißt, „Debut“ ist wirklich unser Debüt! Außerdem ist es ja natürlich so, dass dieser Titel so auftrumpft, nach dem Motto: Debut – hallo, hier sind wir. Das war mir wichtig.

Es ist ja auch definitiv ein guter Titel! Du hast vor ein paar Tagen auf Facebook das Lob der, Zitat: „deutschen Jazzpolizei“ Jazzthing, gepostet. Die schreibt unter anderem, dass euer Album wunderbare Musik bietet und leider viel zu kurz ist. Ist es dir, als jemand, der vom Pop kommt, wichtig, auch von den Jazzern anerkannt zu werden?

(Überlegt) Ja klar, schon, absolut. Ich würde mich halt nicht als klassische Jazz-Sängerin bezeichnen, denn meine Kolleginnen, die ganz konkret aus dem Jazz-Bereich kommen und auch studiert haben, besitzen letztendlich technisch eine viel größere Versiertheit. Ich singe wirklich Pop-Gesang, ich improvisiere im Grunde genommen auch nicht. Ich improvisiere, wenn ich Songs schreibe, da versuche ich, verschiedene Melodien auszuprobieren und vielleicht auch noch in den Proben – aber live mache ich das eigentlich nicht, weil es mir auch gar nicht entspricht. Aber doch, natürlich ist mir das wichtig – ich arbeite mit Jazz-Musikern zusammen, und mir ist es natürlich wichtig, dass die akzeptieren und gut finden, was wir da zusammen machen! Andererseits finde ich es auch toll, dass es diese Fusionen gibt, dass ich mich dennoch nicht so sehr verändert habe in dem, was ich mache und wie ich singe, und der Hans eben auch nicht: Dann entsteht etwas dazwischen, etwas, das aus dem zusammengesetzt ist, was wir beide erschaffen.

Du hast gerade Hans erwähnt, und das führt mich dann auch gleich zu meiner nächsten Frage: Wie hast du eigentlich mit dem Quarz Orchestra, also vor allem mit dem Jazz-Posaunisten und Arrangeur Hans Quarz, zusammengefunden?

Das war ganz lustig. 2008 haben wir ja diese Band gegründet – oder eher eine Vorstufe dieser Band, denn das Ganze hat sich sehr entwickelt. Ich wurde Hans von einem anderen Musiker, der zu jener Zeit in der Band war und jetzt nicht mehr dabei ist, vorgestellt. Beziehungsweise, ich wollte mit diesem anderen Musiker, der Bassist ist, eine Band gründen, und der meinte, „Ich kenn‘ den Hans Quarz, das ist ein ganz toller Arrangeur und Posaunist“, ja, und so hat er uns zusammengebracht. Es hat dann auch gleich gefunkt, wir mochten uns sehr gerne und haben auch festgestellt, dass wir einen ähnlichen Geschmack und ähnliche Vorstellungen haben. Angefangen haben wir als Swing-Quartett, haben Jazz-Standards gespielt und wollten mit den Gigs ein bisschen Geld verdienen – über die Zeit hat sich das aber stark verändert: Hans und ich haben angefangen, eigene Songs zu schreiben, weil es uns ein bisschen langweilig wurde, dann sind die beiden anderen Gründungsmitglieder ausgestiegen, für die zwei andere kamen, sodass wir wieder eine Zeitlang als Quartett weitergemacht haben … Ja, und irgendwann wurde es eben dieses Sextett, wir haben festgestellt, dass wir gut zusammen arbeiten können, und es ist etwas Schönes dabei herausgekommen.

Wenn man eure Platte einlegt, ist das erste, was einem begegnet, dieser weiche Bossa-Nova-Klangteppich. Es gab ja vor etwa zehn Jahren mal eine richtige Bossa-Nova-Welle, die mit dem 50. Jubiläum des Bossa Nova 2008 wohl ihren Höhepunkt erreicht hat. Damals kam kein Stück Popmusik, das etwas auf sich hielt, ohne die brasilianischen Rhythmen aus. Danach ebbte die Welle aber ab, und in den letzten Jahren war vom Bossa kaum noch etwas zu hören gewesen. Und dann kommt ihr und macht eine Platte mit Bossa-Nova-Elementen … Warum jetzt?

Schuld war nur der Bossa Nova, fällt mir da ein (lacht). Mir ist es ehrlich gesagt gar nicht so aufgefallen, dass es diese Welle gegeben hat, wobei ich jetzt, wo du es erzählst, so ein bisschen etwas erinnere … Bei uns sind das auf jeden Fall in erster Linie musikalische Überlegungen. Wir haben ursprünglich Swing gemacht, sodass auch die eigenen Songs, die wir geschrieben haben, zunächst sehr Swing-lastig waren. Irgendwann habe ich gesagt, dass ich gern auch meine Popsongs einbringen will, damit das ein wenig aufgebrochen wird. Der erste Song von diesen Popsongs, den wir gemeinsam gemacht haben, war „If I don’t have love“, welcher dann zum ersten Song unseres Albums geworden ist. Jedenfalls: als Hans ihn arrangierte, fiel ihm auf dass da einfach kein Swing-Rhythmus dazu passt und wir überlegten, wie wir damit umgehen. In der Probe, als wir es zu dritt mit Florian, dem Gitarristen gespielt haben, ist dann aus der Situation heraus ein Bossa Nova entstanden, und ich fand das total schön! Insofern war es bei uns weniger eine konzeptionelle, sondern tatsächlich eine musikalische Entscheidung. Der Bossa passte zu dem Song, und dem ersten folgten weitere: „Tillerman & Comrade“ ist auch ein Bossa …

… der Song, von dem es euer erstes Video gibt! Schuld war also nicht der Bossa, sondern Schuld war der Hans!

(lacht) Kann man so sagen. Aber es ist natürlich auch so, dass wir beide totale Fans der Sechzigerjahre sind, und damals gab es nunmal sehr, sehr viele Bossa Nova-Elemente, bei Burt Bacharach und diesen Easy-Listening- Geschichten… Ist also durchaus auch eine Vorliebe von uns.

Hast du das von Zuhause mitbekommen, von den Platten deiner Eltern?

Die haben zwar viele alte Sachen gehört, aber lustigerweise eher Country. Sie waren totale Musik-Freaks, mochten aber eher Hank Williams oder Glen Campbell, der in den Siebzigern aufkam, aber auch die Stones und sowas. Mit diesem Sechzigerjahre-Sound habe ich mich dann selber beschäftigt, weil ich viele alte Filme gesehen habe, Musicals, in denen Jazz-Songs verwendet wurden. Klassik dagegen haben meine Eltern gar nicht gehört; das habe ich mir später angeeignet, als ich eine Zeitlang fast ausschließlich Klassik gehört habe und auch Pianistin werden wollte. Also, als eine von meinen zehntausend Ideen, was ich mit meinem Leben so alles anfangen könnte!

Als ich vorhin gefragt habe, warum Bossa Nova, hast du ja gemeint, es sei eine musikalische Entscheidung gewesen. Wenn man eure Platte hört, fühlt man sich jetzt aber nicht nur von der Musik, sondern auch vom Klang her in die 50er-Jahre zurückversetzt. Ich stelle mir vor, dass unsere Großeltern so etwas auflegten, wenn sie zu einer mondänen Dinnerparty mit Tanz luden … Ihr habt das alles sogar auf originalem Equipment aufgenommen, richtig?

Ja, genau. Wir haben bei den „Lightning Recorders“, so heißt dieses Studio in Berlin-Rummelsburg, das in der Nähe vom Funkhaus Nalepastraße ist, aufgenommen – und mit den Jungs haben wir auch schon eine Vorgeschichte, denn wir sind etwa 2008 das erste Mal in diesem Studio gewesen – aus praktischen Überlegungen, weil wir uns da zu viert reinstellen und einfach spielen konnten. Wir waren sehr gut eingespielt, weil wir unheimlich viel aufgetreten sind, und man musste dann nicht irgendwelche Overdubs machen, was alles unheimlich lange gedauert hätte, sondern konnte das aufnehmen und fertig.

Das heißt, es ist alles auf einer Spur? Also eine Art Live-Mitschnitt?

Im Grunde genommen ja, aber „Live-Mitschnitt“ wäre ein bisschen tiefstaplerisch. Die Toningenieure haben z.B. ein Bandecho benutzt, das heißt, die Stimme wird mit einem Band aufgenommen und dabei aber gleichzeitig mit einem anderen Band um Bruchteile zeitlich versetzt noch einmal hörbar gemacht und wiederum aufgenommen – und zwar ebenfalls in Echtzeit. Der Effekt, der dadurch entsteht, ist ein analoger Hall, ein typisches Fünfzigerjahre-Echo, das beispielsweise auch Elvis Presley verwendet hat. Ich find die Toningenieure bei Lightnings unheimlich toll. Man kann mit ihnen gut zusammenarbeiten, weil sie sehr gute Ohren haben. Die sind auch selber Musiker und kennen sich mit Equipment und Sound sehr gut aus. Mich hat beeindruckt, dass man sich da einfach so hinstellt, das aufnimmt, und dass es dann so gut klingt! So warm klingt! Klar, bei dieser Herangehensweise muss man natürlich die Aufstellung der Musiker besprechen. Du brauchst schon einmal einen halben Tag, bevor du weißt, wo welcher Musiker steht, damit der Sound eine Räumlichkeit hat, die funktioniert.

Wenn man die Stücke wie ihr in Echtzeit aufnimmt, heißt das ja auch, dass man im Nachhinein keine Chance hat, etwas nachzubearbeiten, außer vielleicht soundtechnisch …

Also, wir haben das fertige Band tatsächlich mastern lassen. Du kannst damit keine Einzelspuren bearbeiten, aber du kannst den Gesamtsound etwas anheben. Wenn jetzt aber einer einen falschen Ton spielt oder ich einen falschen Ton singe, könnte man das nicht mehr ändern. Das bedeutet, man macht normalerweise so fünf bis zehn Takes von einem Song.

Und zwar nicht wie heute üblich, nur von der fraglichen Stelle, sondern ihr müsst das Ganze dann von hinten bis vorn wieder und wieder durchspielen!

Ja, aber ich wollte das so. Uns allen war das wichtig. Dabei kommt es natürlich erstmal darauf an, dass Musiker aufeinander hören. Du bist so auch abhängig von dem anderen, denn wenn der das irgendwie vergrützt und wenn er es dann das zweite oder dritte Mal vergrützt, dann denken die anderen beizeiten: hey, jetzt konzentrier dich mal!

Ich stelle mir das gerade als Sängerin schwierig vor, wenn ich an den Spannungsboden denke. Kannst du den auch beim zehnten Mal noch aufrechterhalten?

Klar, irgendwann wird es dann schwierig. Man muss sich immer wieder motivieren und sich einen Untertext schaffen. Und es ist tatsächlich so, dass an solch einem Tag irgendwann der Punkt kommt, wo es dann nicht mehr geht. Wenn man den Peak erreicht hat, geht es wieder runter. Dann muss man sich eben für eine der Versionen entscheiden – oder man macht es am nächsten Tag noch einmal. Hinterher hören wir die Versionen dann gemeinsam an und entscheiden, welche die beste ist.

In einem demokratischen Prozess?

Naja … (lacht) Nee, ich glaube, ich bin da schon ziemlich genau, was meinen Gesang anbetrifft. Oder sagen wir mal so, was die Posaune und den Gesang anbetrifft. Die sind ja schon sehr prägnant, und wenn sich der Hans da jetzt total verhupen würde und ich mich irgendwie komplett versinge, dann geht das nicht. Dann muss man eine Version nehmen, wo dafür vielleicht das Piano nicht so euphorisch glänzt. Aber klar, wenn einer jetzt mit seiner Leistung überhaupt nicht zufrieden wäre, dann würde ich auch nicht darauf bestehen, dass wir das nehmen. Dann macht man’s halt nochmal.

Wo wir über Vintage-Aufnahmetechnik sprechen – euer Album wird nicht nur auf CD erscheinen, sondern auch ganz stilecht auf Vinyl, was heutzutage ja nicht unbedingt ein preiswertes Vergnügen ist. Ihr müsst ein besonderes Verhältnis zur Schallplatte haben, oder?

Ja, das haben wir mit unserem Label Skycap Music so abgesprochen, denn es war von vornherein klar, dass diese Musik absolut Sinn macht auf Vinyl. Gerade die Vinyl-Liebhaber sind Leute, die diese Art von Musik sehr gern mögen. Es sind zum Teil auch DJs – von denen haben wir schon viele Anfragen, dass sie das unbedingt spielen wollen. Macht einfach Sinn.

Außerdem ist es ja so, dass man sagt, dass die CD eine viel kürzere Lebenszeit hat. Wenn ich dann achtzig bin und irgendwelche kleinen Enkelchen vorbeikommen und etwas hören wollen und die CD existiert nicht mehr …! Man weiß ja nicht, was mit diesen digitalen Dingern passiert. Vinyl ist mehr oder weniger unkaputtbar, es sei denn, du kratzt drauf rum … Das hat so eine gewisse Ewigkeit.

Vinyl ist uns allen in der Band wichtig, damit sind wir ja aufgewachsen, mit den Schallplatten. Ich sag auch immer noch: eine Platte machen. Der Gedanke eines Albums ist auch auf Debut ganz klar zu erkennen. Die Song-Reihenfolge habe ich auch tatsächlich in Hinblick auf ein Album mit einer A-Seite und einer B-Seite ausgewählt. Die A-Seite schließt ab mit dem Instrumental „Lullaby of Moabit“, und die B-Seite fängt dann mit „Footloose Fancy-Free“ an. Find ich extrem stimmig und sinnvoll.

Das ist lustig, denn für mich persönlich kommt der Break ein Lied vorher, denn – auch, wenn man das einer Sängerin jetzt wahrscheinlich besser nicht sagen sollte – mir gefällt das Instrumental am besten und ab da gefallen mir alle Songs gleich beim ersten Hören, was ich von den ersten paar Songs nicht behaupten kann, da brauche ich länger zum Warmwerden …

Ach, echt? Die beiden Seiten sind schon sehr unterschiedlich – und es gibt darüber auch unterschiedliche Meinungen; viele mögen vor allem den ersten Teil.

Wo wir schon mal beim Stichwort „mögen“ sind – ihr kokettiert auf eurem Album mit Miles Davis’ „Fahrstuhl zum Schafott“, und bei „Boys are Heroes“ höre ich eine dezente Annäherung an einen James-Bond-Soundtrack … Seid ihr alle glühende Cineasten oder woher kommt diese Vorliebe für Filmmusikalisches?

Also, ich kann jetzt natürlich nicht für alle anderen sprechen, aber für mich und Hans. Ich weiß, dass er sehr filmisch arrangiert – und ich bin absolut ein Filmfreak. Ich habe vor allem Bilder im Kopf und ich beschäftige mich sehr viel mit Film.

Bleiben wir noch etwas beim Stichwort „mögen“: Mir persönlich gefällt auf eurem Album „Lullaby of Moabit“ mit seiner swingenden Retro-Solo-Gitarre am besten, dicht gefolgt von „Hush Hush Bolero“ und „Footloose Fancy-Free“, wo du klingst wie Ella Fitzgerald mit Big Band. Dazu zwei Fragen: Hast du auch einen besonderen Favoriten auf dem Album? Und: Wie muss man sich ein Wiegenlied in Moabit vorstellen? Irgendwie ist das der letzte Stadtteil Berlins, den ich jetzt mit Ruhe verbunden hätte …

Das kann ich dir gar nicht richtig beantworten, weil das Hans‘ Song ist, und zwar der einzige, den er auf diesem Album ganz allein komponiert hat. Ich vermute – denn ich weiß, dass er manchmal im Moabit probt –, dass er irgendwann nachts, wie das so seine Art ist, aus dem Probenraum kam und dort rumtigerte und dabei irgendetwas im Kopf hatte, eine Melodie, die er dann aufgeschrieben hat.

Die Frage nach meinem Favoriten auf dem Album finde ich total schwierig, ehrlich gesagt, weil das immer wechselt. Also … (überlegt) … ich würde sagen, um die Essenz zwischen dem, was Hans und ich gemacht haben, zu nennen, dann ist das „Boys are Heroes“, der mir vor allem auch inhaltlich sehr wichtig ist. Der Prozess, diesen Song zu schreiben, war sehr aufregend für mich, und ich finde, dass Hans etwas absolut Großartiges daraus gemacht hat von den Arrangements her, wie du gesagt hast, dieser James-Bond-Sound …

… du singst da ja auch etwas in der Art von „they turn wives into widows“. Sind die Boys in deinem Stück Kriegshelden, wobei „Helden“ hier durchaus verächtlich zu verstehen ist, denn was für Helden sind das schon, denen ihr Kriegsspiel wichtiger ist als ihre Familien?

Nein, das hat mit Krieg nichts zu tun. Sondern damit, dass ich schon öfter in den Alpen wandern gewesen bin. Ich mache das recht regelmäßig und dann auch immer gleich so eine Hüttenwanderung über mehrere Tage. Und beim ersten Mal – ich hatte vorher gerade den Film „Nordwand“ gesehen; es gibt ja da viele Geschichten gerade aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, wo diese Bergsteigerei erst so richtig populär wurde –, meine Geschichte ist eigentlich genau so eine Story: Es geht um zwei Bergsteiger, die gehen in die Berge und lassen ihre Mädchen zurück im Dorf, und nur einer kehrt zurück. Darum geht es. Um diese Haltung, die oft bei jungen Männern zu finden ist, dieses testosteron-gesteuerte „Ich mach das jetzt“, ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Song spielt auch mit der Frage, ob das etwas typisch Männliches ist und was Heldentum und Held-sein eigentlich bedeutet. Als ich auf dieser Hütte war, habe ich mit einem Bauern gesprochen, der seine zwei Söhne durch einen Absturz beim Bergsteigen verloren hat, das hat mich tief beeindruckt. Einerseits ist es so ein ganz sonniges Land, dieses Südtirol, charmante Leute, charmante Männer, die so eine bestimmte Art von Galanterie haben, die man hier nicht mehr oft antrifft, sehr traditionsbewusst auch. Andererseits haben sie einen seltsamen Stolz. Es gibt dort allerorts diese Erinnerungsmarken mit Aufschriften wie „Hier stürzte unser Sohn soundso in die Tiefe – zu Gott“. Für mich hatte das Ganze einen merkwürdigen Beigeschmack, weil es ja eben auch schön da ist.

Andererseits kann ich das auch verstehen, diese Besessenheit, etwas Bestimmtes zu erreichen, an einen bestimmten Punkt zu kommen der geografisch über allem liegt. Wenn man da oben auf dem Ortler, dem höchsten Berg Südtirols, ist – und jetzt nicht gerade mit einer Reisegruppe unterwegs ist –, dann herrscht dort die totale Ruhe, eine Ruhe über der Welt. Und wenn man dann über diese ganzen kleineren Berge schauen kann, gibt einem das natürlich auch so ein fast kindliches Allmachtgefühl. Das hat mir gefallen.

Vor allem auch eine Geschichte, die man jetzt nicht unbedingt hinter dem Song vermuten würde …

Für viele Mitteleuropäer geht es heute wohl darum, eine gewisse Spannung im Leben künstlich zu erzeugen. Weil es möglich ist. Und weil es uns an wenig mangelt.

Wobei das für mich eher eine Frage des inneren Reichtums ist. Wenn der vorhanden ist, muss ich mir keine künstliche Spannung von außen hinzuführen – ich denke jetzt an Leute, die Bungee-Jumping machen oder so … Also, ich verspüre dieses Bedürfnis überhaupt nicht!

Doch, ich kann das schon ein bisschen nachvollziehen. Ich trage auch so eine Tendenz in mir – aber ich stelle sie natürlich gleichzeitig auch in Frage.


Hans Quarz

Und „Frage“ nehme ich jetzt als Stichwort, denn zu dem, was ich vorhin gefragt habe, fällt mir noch etwas Drittes ein. Es ging ja um Lieblingsstücke und das ich eines so mag, weil ihr da nach einer gefühlten Bigband klingt, und ich frage mich: Wie habt ihr diesen unglaublich dichten Bandsound hinbekommen?

Bei vier Songs haben wir tatsächlich eine Bigband, und zwar bei „Boys are Heroes“, „Footloose Fancy-Free“, „Hush Hush Sweet Baby“ und – ach, das sind ja sogar nur drei! Da wurde unser Sextett zum Tentett, denn der Hans wollte in seiner Eigenschaft als Arrangeur natürlich Bläser, Bläser, Bläser! Wir treten in dieser Besetzung teilweise auch tatsächlich auf, und nach oben hin ist das erweiterbar. Es ist so gedacht, dass wir sechs die feste Besetzung sind, und dann, je nachdem, was wir machen wollen, kommen – gerade im Studio – noch weitere Musiker dazu.

Und der Sound auf den anderen Songs – das ist einfach das Talent von Hans! Der kann wahnsinnig gut arrangieren. Er sagt immer, also, eigentlich bräuchten wir ja viel mehr Bläser, aber er kann die Stimmen auch so setzen, dass es eine Dichte ergibt, wenn es an der Menge der Instrumente mangelt. Außerdem gehe ich davon aus, dass das auch etwas mit dem musikalischen Ohr jedes unserer Musiker zu tun hat: Wenn man aufeinander hört, ergibt das ein stimmiges Sound-Bild. Aber es stimmt, eigentlich sind das gar nicht so viele Musiker.

Wenn wir jetzt gerade die Lieder durchgezählt haben und auf drei Bigband-Stücke kommen, während ihr auf sieben anderen im Sextett spielt, dann ergibt das ein klassisches zehn-Song-Album. Ich weiß aber, dass die Vinylversion mit einem elften Track aufwarten wird …

Das wird eine Coverversion sein, und zwar „Don’t Stop Me Now“ von Queen.

Das ist spannend, denn das ist ja etwas völlig anderes! Queen im Bigband-Gewand! Warum gerade Queen?

Die Idee war eigentlich … Hans hat das Stück schon vor zwei oder drei Jahren für uns arrangiert, weil ich das gerne wollte, denn ich bin ein totaler Freddy-Mercury-Fan. Und weil ich finde, dass der ja auch sehr symphonisch komponiert hat, obwohl das Rock- und Popmusik war. Ich hatte totale Lust, dieses Lied zu singen – und vor allem, diesem Lied einen anderen, nämlich meinen Drive zu geben. Denn eigentlich ist das ja ein Testosteron-Song, so hey und wäh und so – und das mit ein bisschen Abstand zu singen, etwas entspannter auch, hat mich interessiert. Zwar schon zu sagen, ich will Spaß haben – denn genau das sagt „Don’t Stop Me Now“ ja aus: Ich will jetzt feiern“ und ich nehme mir jetzt alles“ –, aber dass man das vielleicht auch mit so einem Augenzwinkern machen kann anstatt sich an beiden Enden mit hundert Prozent Flamme abzubrennen.

Vor allem aber wollte ich dieses Lied singen weil Freddy Mercury für mich ein toller Songwriter und Entertainer war.

Auf jeden Fall ist das ein großer Anreiz, sich die Vinylversion zuzulegen! Wir haben vorhin ja von den Lieblingsstücken des Albums gesprochen, und es gibt noch eines, das ich total mag: diesen Schleicher „Any Human Heart“, der dann vollends wie das Cover eines Jazzklassikers aus den Vierzigern klingt und in jedem Realbook auftauchen könnte. Wie kommt es dass du dich nicht nur als Vokalistin, sondern auch als Texterin so sicher in dem alten Jazz-Idiom bewegst?

Das weiß ich nicht – das ist einfach so! An diesem speziellen Song hat Hans tatsächlich musikalisch einen sehr großen Anteil. Er kommt ja aus dem Jazz. Ursprünglich hatte ich ihm das Stück in einer Art Rockabilly-Version angeboten, vom Drive her, aus der er dann diesen Jazz-Drive gemacht hat. Und mit dem Text … Findest du das denn so …?

Naja, es gibt da diese Wendungen wie „come rain or come shine“, die so altmodisch und so typisch sind …

Ja, come rain or come shine … Da gibt es doch diesen Klassiker aus diesem Musical … (singt) „High as a mountain/deep as a river/come rain or come shine … Happy together, unhappy together” …

„St. Louis Woman“ von 1946“ … Der wurde in den Fünfzigern zum Standard und zum Beispiel durch Interpreten Sinatra oder Billie Holiday bekannt.

Ja, manchmal ist das bei mir auch so ein Zitat-Fimmel, einfach aus Spaß. Manche Wörter, weil ich eben viel Jazz gehört habe, kommen dann wieder und ich denke, hm, das passt da jetzt irgendwie gut rein. Ich finde das auch witzig, daraus so einen Mashup zu kreieren – oder ich bediene diese Elemente, um bei mir selber, im eigenen Flow, eine kleine Lücke aufzufüllen. Aber ich habe dafür keine Schule besucht. Ich schreibe Songs, seitdem ich vierzehn bin, und irgendwie hat es sich so entwickelt.

Ist denn Hans ´ Musik zuerst da, auf die du dann die Texte schreibst?

Nee, das ist unterschiedlich. Sehr oft ist es so, dass ich ihm etwas anbiete, mit Text, den ich immer selbst schreibe, und er verändert dann etwas. Bei „Hush Hush Sweet Baby“ zum Beispiel …

… das ist die Ballade?

Ja, bei der Ballade, da hat er sehr viel verändert in der Strophe. Der Refrain ist mehr oder weniger auf meinem Mist gewachsen, aber bei der Strophe hat er ziemlich viel Einfluss gehabt.

Das ist lustigerweise das einzige Stück eures Albums, mit dem ich überhaupt nicht warm werde!

Ach, echt? Ist halt eine Ballade …

Was ja auch völlig legitim ist. Aber ich finde da irgendwie keinen Zugang. Was schade ist, denn ich bin ein großer Freund der neun anderen Stücke. Darunter ist ja auch eine Coverversion, nämlich „A Zoot Suit For My Sunday Gal“, das 1942 von Wolfe Gilbert und Bob O’Brian geschrieben wurde. Es gibt viele berühmte Interpretationen davon, u.a. von den Andrews Sisters oder von dem legendären Bandleader Kay Kyser und seinem Orchester. Wie hat der „Zoot Suit“ seinen Weg auf euer Album gefunden?

Eigentlich war das so, dass ich mit Cherry Casino, der das mit mir zusammen singt, ein Duett machen wollte – aber wir hatten keinen Song. Dann habe ich so ein bisschen recherchiert – ich weiß gar nicht mehr, wer das angebracht hat, irgendeiner von den Musikern, und ich habe mir dann so eine Version angeschaut von Dorothy Dandridge und Paul White, da gibt es auf YouTube ein total süßes Video, wo die beiden sich schick machen und dann zum Rendezvous treffen. Ich konnte mir das sehr gut mit Cherry vorstellen und hatte auch gleich irre Bilder im Kopf falls wir mal ein Video daraus machen sollten.

Wir haben den Song ein bisschen probiert und ihm lag das auch. Und ich hatte mein Duett.

… da hätten ja Ella Fitzgerald und Louis Armstrong nahe gelegen …

Ja, wobei ich solche sehr naheliegenden Dinge meist auch ein bisschen langweilig finde. „Zoot Suit“ wurde zwar oft gecovert, ist aber trotzdem nicht bekannt, das fand ich reizvoll.

Auch im Sinne einer Wiederentdeckung für das heutige Publikum?

Ja klar. Ich finde, es ist in jedem Falle wert, Dinge neu und wieder zu entdecken, anstatt zum hundertzwanzigsten Mal dasselbe zu singen. Ich als Konsument würde mir das wünschen. Ich frage mich auch immer nach der Intention, wenn man Stücke wie „Girl from Ipanema“ zum hunderttausendsten Mal aufnimmt …

…was ja ein klassischer Bossa wäre!

Ja, aber er ist so derartig bekannt! Mir ist es auch wichtig, dass ich einen persönlichen Bezug zu einem Stück habe.

Wenn man eure Platte hört, klingst du von der ersten Silbe, die du singst, angenehm aus der Zeit gefallen – wie zu jener Zeit, als auch Schlagersängerinnen noch eine klassische Gesangsausbildung haben mussten (beispielsweise auf „Hush Hush Sweet Baby“, das auch von einer Gershwin-affinen Opernsängerin gesungen worden sein könnte) … Erzählst du mir zum Abschluss ein bisschen von deiner Ausbildung?

Ich habe gar keine, wirklich nicht. Ich habe sehr früh angefangen zu singen, aber ich habe das immer so gemacht, wie ich denke. Ich hab auch mit ganz anderen Sachen angefangen, nämlich mit Punkrock. Später habe ich viel Popmusik gemacht und hatte immer mal wieder ein bisschen privaten Gesangsunterricht – irgendwann hatte ich dann eine richtig gute Lehrerin, Eugenia Visconti. Ein paar Jahre zuvor hatte ich mit einem New Yorker Gesangslehrer gearbeitet – ja, ich habe mit vielen Leuten gearbeitet, aber nicht in einem universitären Rahmen. Ich würde schon sagen, dass ich zum größten Teil Autodidaktin bin. Ich habe halt viel gehört – habe mir unheimlich viele Sängerinnen angehört, und die, die mir gefallen haben, habe ich als Teenager und dann als junge Frau, imitiert, und daraus dann peut a peut meinen eigenen Stil entwickelt.

Louise, ich danke dir für dieses ausführliche und angenehme Gespräch!

Louise Gold & the Quarz Orchestra live erleben? Können Sie! Und zwar beim Record Release am 26. April im Roten Salon der Volksbühne Berlin! Sie können nicht dabei sein? Schade, aber notieren müssen Sie sich diesen Termin trotzdem, denn ab da steht Debut in den Läden oder bei Ihren favorisierten Online-Bezugsquellen bereit. Ein ganz besonderes Exemplar können Sie hier auf klangverführer.de gewinnen – schauen Sie dann einfach noch einmal vorbei oder abonnieren Sie den RSS-Feed vom Klangblog, der hält Sie ganz automatisch auf dem Laufenden. Bis dahin wird es auch eine Rezension auf fairaudio.de geben – in Form der Platte des Monats April!

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