Ich kenn‘ dich doch von Facebook: Nikolai Tomás und Krispin Light im art.gerecht – klangverführer | Musik in Worte fassen

Ich kenn‘ dich doch von Facebook: Nikolai Tomás und Krispin Light im art.gerecht

Lieder, die man nach einem Konzert noch auf dem Heimweg singt, haben das Zeug zum Ohrwurm/Sommerhit/Klassiker/… (bitte nach eigenem Gutdünken ankreuzen bzw. ergänzen) und sind in jedem Falle angetan einen wissen zu lassen, dass man gerade Zeuge eines ganz besonderen Abends wurde. Das Indien-Lied mit so schönen Textzeilen wie „die Gurus brauchen neue Schüler“ der neuen, noch nicht erschienenen Platte von Nikolai Tomás, ist so eins. Und in der Tat ist ein Großteil des Publikums gekommen, den Poems for Laila-Schöpfer zu sehen, obgleich er mit einer Handvoll neuer Stücke nur das Vorprogramm der Show bestreiten sollte. Sein letztes Solo-Album Alles auf Anfang habe sie in einer schwierigen persönlichen Phase angetroffen, verrät mir eine Dame, und dort prompt seine heilende Wirkung entfaltet. Und ein junger Rechtsreferendar aus einem der bürgerlicheren Bezirke Berlins wurde von seinem Freund mitgeschleppt, der „Tomás unbedingt sehen wollte“. Dafür scheute man dann auch die Autofahrt ins hippe Friedrichshain nicht.

Klar, dass auch ich gespannt war auf diesen Landsmann meines Vaters, dem die Kollegen schon mal attestieren, wie ein „verwegener ungarischer Prinz“ (Tagesspiegel, 14. März 2002) auszusehen und was das Puszta-Paprika-Klischee (Zigeunergeiger! Csárdásfürsten! Lángos und Palatschinken! Ja, es ist nervig, in Deutschland mit seinen geliebten Exotismen Ungar zu sein.) noch alles so hergibt. Und wenn er dann noch lebensrettende Lieder à la Illute macht … Zumindest macht er sehr schöne Lieder, irgendwo zwischen Rätselhaftigkeit („Ich war die Sechs und du die Zwei/ich die Methode, du der Hai“) und Zeitgeist. So beispielsweise beklagt sein Facebook-Lied Ich kenn dich doch von Facebook mit dem schönen „Gefällt mir/gefällt mir nicht“-Refrain den merkwürdigen Umstand, dass man von seinen Facebook-„Freunden“ zwar fast alles weiß, angefangen davon, was sie gerade zu Mittag gegessen haben, aber recht eigentlich kennt man sie gar nicht. Bezeichnenderweise sind Nikolai Tomás und ich – Ironie des Schicksals: Facebook-Freunde. Haben sich hier schon viele schmunzelnd wiedererkannt, war der absolute Brüller des Abends aber Tomás‘ Indien-Song, ein perfekter Rausschmeißer, bei dem das Publikum lachend am Boden lag und der vergessen macht, dass die Lieder des Sängersongschreibers, genauso wie die vom heutigen Main Act Krispin, nicht zuletzt durch poetische Wortneuschöpfungen wie „Wundertütenland“ oder „Regenmantelmann“ bestechen. Ein toller Songs ist auch Baby Berlin – auf die Platte kann man sich definitiv freuen!

Freuen tut sich einzig Kopfhörerhund nicht. Der ist zwar wieder gesundet, aber schon den ganzen Tag über unruhig, um nicht zu sagen: unleidlich. Zu allem Überfluss habe ich ihm die Ohren geputzt, was die schlechte Hundelaune nur noch verstärkt. Während Nikolai Tomás‘ Auftritt will das Getier dann auch nur eins: raus. Kaum aber betreten Roland Krispin und Christoph Thiel die Bühne, die diesmal nicht von Andreas Laudwein und Ronny Seiler an Gitarre und Schlagzeug, sondern als „Krispin Light“ von der ebenfalls über Facebook rekrutierten Cellistin Franziska Kraft begleitet werden, rollt sich Kopfhörerhund wohlig zusammen und schläft. Auch er mag die Krispin-Lieder zwischen Fröhlichkeit und Wahnsinn. An alle verzweifelten Eltern da draußen: Wenn sogar mein renitentes Hundetier bei den Krispin-Liedern einschläft, probieren Sie sie doch mal an Ihren zappeligen Kindern!

In jedem Falle stehen den Songs die neuen luftigen Kleider, wobei Papierherz das wohl coolste Cello-Arrangement hat, obwohl – oder gerade weil – es eben nicht gar so luftig daherkommt, sondern mit einem weittragenden, fast schon den fehlenden Bass ersetzenden Cello. Dass kein Schlagzeug dabei ist, merkt man erst am Schluss des Sets, wo Thiel zum Tamburin greift (oder vielmehr damit füßelt) – hier offenbart sich, dass die Songs in der alten Besetzung mehr Tiefe hatten; und bei der letzten Zugabe Spät – einem wunder-wunderschönen Lied – vermisse ich die portisheadschen Klangflächen Andreas Laudweins schon sehr. Das geniale Cover Paula hingegen ist auch in der Light-Version die wohl schönste Zugabe, und es ist ein Jammer, dass der Song es nicht auf das Album geschafft hat. Mit Ich habe dich gern gibt es auch einen neuen (oder zumindest beim Zimmer-16-Auftritt uneghörten) Song, den habe ich Ihnen direkt einmal mitgebracht. Natürlich darf da auch der mittlerweile wieder zappelige – weil, wie sich zu Hause herausstellte, obwohl gefütterte trotzdem mordshungrige und entsprechend randalierende – Kopfhörerhund nicht fehlen:

Er hört es zwar nicht gern, der Herr Krispin, wenn ich ihn als „Liedermacher“ bezeichne. Doch auch wenn der Begriff mit gewissen Konnotationen aufgeladen ist, tut Roland Krispin im Grunde genommen genau das: einfach schöne Lieder machen, und somit ist – und bleibt – er für mich ein Liedermacher im besten Sinne. Dennoch ist es am Ende des Tages Indien von Krispin-Produzent Nikolai Tomás, das mich auf dem Nachhauseweg, durch die Nacht und auch noch in den nächsten Morgen begleitet. Und nach einem halben Kilo Hähnchenhals und der „Notdose“ Thunfisch war das Hündchen auch wieder friedlich …

Top