Sehen, registrieren, reagieren: B·S·O auf der YOU – klangverführer | Musik in Worte fassen

Sehen, registrieren, reagieren: B·S·O auf der YOU

What a difference a day makes! Fragte ich mich gerade noch in Erinnerung an die Püppchen-Pleite vom Freitagabend noch, weshalb ich mir diesen Job eigentlich antue, weiß ich es heute wieder ganz genau. Dabei sah es gar nicht so aus, als würde sich dieser Tag musikalisch lohnen. Dafür sorgte die YOU, laut eigenen Angaben „Europas größte Jugendmesse“. Hier soll heute das BerlinerStreichOrchester, kurz: B·S·O, spielen, und da ich die Musik der drei Jungs sehr mag, aber noch nie live gesehen habe … Nun, das sollte erklären, wie ich hier hinein geraten bin.


Wer noch ohne Berufswunsch ist, kann es ja mal mit dem Backen kleinerer Brötchen versuchen

Die seit Jahrzehnten üblichen Verdächtigen der Jugendkultur – ein bisschen DJ-ing hier, ein bisschen Graffiti dort -, angereichert mit modernen Späßchen
à la Kletterwand sorgten für eine Geräuschkulisse, die mir innerhalb von wenigen Minuten schlechte Laune machte. Und dafür habe ich den armen Kopfhörerhund zur Nachbarin abgeschoben? Nicht zuletzt möchte einem ständig jemand etwas andrehen: Nein, ich brauche kein zusammenfaltbares Frisbee. Und danke, auch keinen Schlüselanhänger, kein Gratis-Poster, ebenso wenig wie sämtliche Flyer dieser Welt. Die Zielgruppe von denen bin ich doch nun wirklich nicht!

Andererseits: Das hier hätte mich auch mit fünfzehn nicht wirklich geflasht. Was auch für die heute Fünfzehnjährigen Gültigkeit zu besitzen scheint, denn allzuviel ist nicht los auf der YOU, zumindest nicht an diesem Sonntagmittag. Dazu noch herrscht draußen herrlicher Indian Summer, der den Tag zu einem macht, der definitiv zu schade ist, um ihn in dunklen Messehallen zu verbingen. Nach einem kurzen Rundgang über das Gelände entschließe ich mich dann auch bis Showbeginn zur Flucht nach draußen. Und da sehe ich ein Schild, welches mir Lärmgeplagtem wie eine Fata Mogana dem Verdurstenden in der Wüste erscheint:

Herrliche Stille! Die Halle nämlich, in der das von Geiger Gunnar Wegner gegründete und als Cover-Band einer Cover-Band gestartete B·S·O am Stand von Outreach spielt, wird beschallt von Nachwuchs rekrutierenden Bundeswehrleuten – oder waren es die von der Polizei? jedenfalls Menschen in Uniform, und das sagt eigentlich schon alles -, vor allem aber einer sogenannten DJ School, die nicht nur schlecht, sondern auch laut ist. Mit drei Streichern gegen drei Rapper anzuspielen – mutig. Andererseits: Es geht um drei gute Streicher gegen drei schlechte Rapper. Das hier verspricht spannend zu werden – oder auch ganz schrecklich.

Die Sorge erweist sich als unbegründet – nicht nur hat der Outreach-Tonmann den Sound perfekt im Griff, sondern B·S·O auch sein Repertoire. Wo ich schon gute und weniger gelungene Aufnahmen von ihm gehört habe, hat heute alles gestimmt. Nicht nur, das Poprockmetall im Kammermusikarrangement funktioniert – und B·S·O hat zum Heulen schöne Arangements! -, sondern vor allem, dass das Trio mittlerweile so blind aufeinander eingespielt ist, dass jenseits des bloßen Funktionierens ein echtes Musizieren entsteht. Besondern beeindruckt mich das Zusammenspiel der beiden Cellisten, des erst siebzehnjährigen (!) Jupp Wegner mit seinem Cousin Johannes Fischer. Gerade Ersterer hat sich vom Achter schrubbenden Begleiter zum mindestens ebenbürtigen Triomitglied gemausert, mit einem für sein Alter erstaunlich satten und selbstsicheren Ton.

Um aber noch einmal auf das Zusammenspiel zurückzukommen: Ich habe so viele Konzerte gesehen in letzter Zeit, aber was an intuitivem Verständnis und vor allem an musiklaischer Kommunikation herrscht zwischen diesen beiden, das kriegen manche gestandene Jazzer nach einem zwanzig-jährigen gemeinsamen Auf-der-Bühne-Stehen nicht hin! Ganz erstaunlich, wie unglaublich gut sie zusammen geworden sind, vor allem im direkten Vergleich zu den Aufnahmen vom Frühsommer dieses Jahres. Zwar wäre es grob unseriös oder zumindest doch kitschig, dieses intuitve Verstehen auf Blut-ist-dicker-als-Wasser-Familienbande zu schieben, aber irgendetwas muss es ja sein, das hier anders ist als bei anderen.

Nun bedeutet eine innige Verbindung aber nicht zwingend auch vorsichtig und leise, denn an das gemeinsame Musizieren muss man sich nicht mehr erst herantasten. Hier wird richtig gearbeitet, und auch die Bögen werden nicht geschont, immer wieder löst sich das ein oder andere Haar während des Spiels – ich frage mich, wie oft sie ihre Bögen zum Neubespannen bringen müssen! Ähnliches an Intensität habe ich zuletzt bei Ian Fisher gesehen, der ein Loch in seine Gitarre gespielt hätte, wäre ihm nicht vorher die Seite gerissen.

Wie gut B·S·O inzwischen geworden ist, konnte man ja schon beim Lady Gaga Medley hören. Und jetzt gibt es auch das ältere Repertoire in dieser Qualität. Das freut. Nicht zuletzt machen die drei genau das, was ich am Freitag so schmerzlich vermisst habe: Sie kommunizieren mit dem Publikum. Dafür brauchen sie keine ellenlangen Ansagen, aber sie schauen, sie registrieren, sie reagieren, kurz: sie sind da. Und echt. Wer das Glück hat, bei B·S·O im Publikum zu sitzen, fühlt sich als Zuhörer ernst genommen. Das hatte ich Freitag bei den Vollprofis nicht.

Die um die Publikumsgunst konkurrierende DJ-Schule ist mitsamt ihren schlechten Rappern nur noch als fernes Rauschen zu hören, wenn die drei hier erst einmal loslegen

Von den Songs, die das Trio heute spielt, mag ich It’s My Life am liebsten, und das sage ich als bekennender Hasser von pathetischen Rockballaden im Allgemeinen und Bon Jovi im Besonderen! Das traumschöne B·S·O-Arrangement wird höchstens noch getoppt von ihrer Lemon Tree-Version, die noch mehr vor sich hin-reggaet als das Original. Das kann man sich alles im Soundcloud Stream des Trios anhören, klar. Viel besser aber ist es, B·S·O live zu erleben – zum Beispiel am 20. Oktober im Kesselhaus in der Kulturbrauerei.

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