Lyambiko im Klangverführer-Interview: Über Lieblingssongs, musikalisches Schubladendenken und den Hund im Kohlekasten – klangverführer | Musik in Worte fassen

Lyambiko im Klangverführer-Interview: Über Lieblingssongs, musikalisches Schubladendenken und den Hund im Kohlekasten

Die Nacht war kurz. Es ist kalt. Und zu allem Überfluss hat es sich über Nacht so richtig schön eingeregnet. Den Stau habe ich überschätzt und bin viel zu früh, habe nasse Füße und Kaffeedurst – nicht die glücklichste Konstellation! Ich streife noch ein bisschen durch die Gegend, treffe dabei auf einen kleinen Origami-Hund/Wolf/Fuchs, der ebenso tapfer wie traurig eine ansonsten fast geisterhaft leere Glasvitrine bewacht, die ihrerseits in einem verlassenen Flur steht. Wer den wohl dorthin gestellt hat?

Endlich ist es an der Zeit, mich auf den Weg zu machen zur sympathisch kleinen Berliner Sony-Niederlassung. Dort ist es warm und trocken. Eine trotz Interview-Marathon gutgelaunte und entspannte Lyambiko gießt höchstpersönlich Kaffee ein. Wir plaudern über den elenden Regen und wie gut die paar Sonnentage in den letzten Wochen doch getan haben. Und dann geht es auch schon los:

Ihr neues Album heißt Something Like Reality. Was ist denn für Sie
so etwas wie Realität?

Nun, der Begriff „Realität“ hat ja so etwas Absolutes, und wer bin ich, mir herauszunehmen, dass meine Wahrnehmung, meine Sicht der Dinge die absolute ist. Auf dem Album beschäftigen wir uns viel mit den Dingen des Lebens: wie ich die Welt sehe oder wie sie mir entgegenkommt – und das
ist doch sehr subjektiv. Ich hatte das Gefühl, „Reality“ ist irgendwie der
Titel für das Album, das gehört da rein, es ist einfach so … es springt mir
ins Gesicht … aber … es ist halt nicht wirklich das.

Es geht also um Ihre Wirklichkeit!

Genau! Und ich war so viel am Haare raufen und Überlegen und Diskutieren mit meinen Kollegen … Ich meine, wir haben das Album zusammen aufge-
nommen, da sind Kompositionen meiner Kollegen drauf, da ist die Frage,
wie wir das Album jetzt nennen, natürlich auch ein gemeinsamer Prozess.
Ich telefonierte mit Robin, dem Bassisten, und sagte zu ihm, ja, es ist schon Reality, aber irgendwie auch nicht, und er meinte, oh, da lass mich mal überlegen, ich melde mich nochmal, und noch im Auflegen murmelte er gedankenverloren, something like reality, und ich hörte das noch so mit einem Ohr und ha! Dann hab ich ihn zurückgerufen und gesagt: danke! Das hat es total getroffen!

Schöne Geschichte! In der Pressemitteilung dazu heißt es, das Album sei auch deshalb so besonders, weil Sie erstmals mit Bläserarrangements arbeiten, und trotzdem hätten Sie gesagt bzw. werden Sie so zitiert, dass es für Sie ein bisschen „heikel“ war, weil Sie den „typischen Lyambiko-Sound“ nicht opfern wollten. Was ist denn für Sie der typische Lyambiko-Sound?

Nun, wenn ich mir so verschiedene neuere Produktionen anhöre, also Alben von Kollegen, dann haben die oftmals etwas, was ich nicht so unbedingt haben will, diese Gefälligkeit … Ich meine, man will ja schon irgendwo gefallen mit dem, was man tut, man will ja ankommen, aber es soll einfach nicht zu durcharrangiert, zu glattgebügelt, zu gefällig sein, weil … das bin ich schlicht und einfach nicht!

Sie wollen keine Norah-Jones-Platten machen.

(lacht): Ja … ja. Es soll einfach nicht zu durchgestylt sein, sondern schon näher an mir dran, und ich sehe mich jetzt nicht unbedingt in der Ecke für
Big-Band-Musik. Deswegen ist das für mich schon ein sehr heikles Thema gewesen. Der Heinrich (Köbberling, der Schlagzeuger, Anm. d. Red.) kam mit seinen Kompositionen und sagte, er sieht das für seine Stücke, und für mich stellte sich dann eben die Frage, wie machen, wie lösen wir das so, dass einerseits mein Anspruch gewahrt bleibt und wir andererseits aber schon das umsetzen können, was er sich vorgestellt hat. Und … ja, wir haben dann so ein bisschen darüber diskutiert, wie wir das machen können, und Heinrich meinte, er habe den Marc Muellbauer an der Hand, der phantastische Arrangements schreiben könne für Bläser. Dann sagte er: „Mit dem probieren wir das jetzt einfach mal aus. Der macht da jetzt mal was, ich habe da wirklich keine Sorge, dass da was schief gehen könnte“. Als ich dann angehört habe, was wir da gemacht haben, war ich schon echt begeistert, also, das hatte ich jetzt nicht unbedingt so erwartet! Ich hatte nämlich schon befürchtet, dass es möglicherweise eben doch zu sehr in Richtung Big Band Sound herauskommen könnte. Jetzt gibt es eigentlich nur einen Song, und zwar den ersten auf dem Album, Don’t Stand By Me, bei dem man sehr den Big-Band-Sound raushängen lässt.

Der erste Track swingt in der Tat sehr! Was mich auch gewundert hat,
als ich das Album zum ersten Mal hörte, weil ich immer das Bild hatte, dass Lyambiko sehr intime Sachen in kleiner Besetzung machen. Trotz-
dem finde ich, dass das neue Album schon sehr von den anderen Lyambiko-Produktionen abweicht, auch völlig abgesehen von dieser ganzen Big-Band-Geschichte. Zum Beispiel Breaking News erinnert mich stellenweise an funky Sixties-Soul, auch der Gesang hat dort mehr Biss als auf den pureren Jazz-Nummern. Und gerade im Vergleich zu Ihren Aufnahmen von 2006/2007 habe ich das Gefühl, dass Ihre Stimme mehr „itchy“, kantiger, geworden ist. Besonders hört man das auch auf dem Work Song. Ist dieser Sound der normalen biologischen Entwicklung Ihrer Stimme geschuldet oder ein bewusster stilistischer Einsatz?

Das ist absolut bewusst. Und ich bin mir ehrlich gesagt auch gar nicht so sicher, ob das auch so ankommt oder wahrgenommen wird – ich denke, die Frage sagt uns schon, dass das nicht so ist … Ich gehe einfach davon aus: man muss es mögen oder nicht. Und, das ist eben genau das Ding. Im Prinzip geht es um … ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll! (Überlegt) Das ist es im Prinzip schon. Also, darauf kommt es mir an. Es soll eben nicht gefällig sein, sondern so, wie ich nun mal bin.

Um mal bei dem Thema unbequem oder eben „itchy“, wie ich es genannt habe, zu bleiben: Auf Something Like Reality gefällt mir persönlich Black Hole Sun am besten – wobei ich den Track stilistisch ganz klar als „Aus-
reißer“ empfinde, er ist anders als der Rest des Albums. Wie kamen Sie auf die Idee, eine Soundgarden-Nummer zu covern?

Also, was mir beim Zusammenstellen der Songs für ein Album total viel Freude macht ist … Aufgrund der Tatsache, dass ich es schon immer so gehalten habe, mich da und dort bedient und das Ganze dann zusammen-
gefasst habe zu Meinem … konnte ich mir diese Freiheit auch bei dem neuen Album nehmen, und so enthält es eben nicht nur die neuen Kompositionen meiner Kollegen, sondern auch durchaus Jazz-Standards und dann eben auch Songs, die mich in meiner Jugend oder meiner Vergangenheit geprägt haben, und da war der Soundgarden-Song eben ein ganz starker Einfluss.

Auf dem neuen Album erinnert mich der Song Mind Over Matter an
meine beiden ganz persönlichen Lyambiko-Lieblingssongs: Give It Up
von Love … and Then (2006) und Inside Outside von Inner Sense (2007). Gibt es den einen oder anderen Lyambiko-Song, der Ihr ganz persönlicher Alltime-Favorit ist?

(Lacht) Natürlich müsste ich jetzt sagen: jeder Song. Aber tatsächlich … also aus der Zeit, in der ich hauptsächlich Jazz-Standards interpretiert habe, war es vor allem Black Coffee. Miss Celie’s Blues fand ich auch immer total schön … Hhm … das ist ganz verschieden! Also, ehrlich gesagt sind da auch einige Balladen dabei, zum Beispiel Somerwhere Over The Rainbow, Skylark, Polka Dots And Moon Beams … (lacht wieder) Auch Songs wie zum Beispiel Work Song, der mich schon seit Anbeginn meiner Karriere begleitet …

… genau, da gibt es eine frühe Aufnahme von Ihnen aus dem Jahr 2001 oder 2002, und jetzt auf dem neuen Album wieder eine ganz andere Interpretation. Mit der Zeit ändert sich also auch immer die künstlerische Herangehensweise…

Ja, klar! Ich meine, wir verändern uns, insofern verändert sich auch die Art, wie wir an die Musik herangehen, und somit hoffentlich die Musik selbst auch!

Zurück zu den Lieblingssongs: Gibt es da auch einen aus dem neuen Album?

(mit Nachdruck) Alle!

Natürlich alle …

Nein, wirklich und wahrhaftig! Ich meine, als wir das Material gesammelt haben, da gab es schlicht und einfach einige, die sind durchgefallen, also,
die haben mich nicht so angesprochen und waren damit weg. Somit sind eigentlich wirklich nur meine Lieblingssongs übriggeblieben.

Gibt’s das denn, dass man mit Material im Studio steht und sagt, das möchte ich eigentlich gern auf meinem Album haben, und erst während man es aufnimmt oder dran arbeitet merkt man, es passt doch nicht, es wird nichts und es fällt dann runter?

Ja, das hatten wir schon. Ein Stück, in das man richtig viel Arbeit investiert hat, das einen ganzen Studiotag gekostet hat, und dann sagt man einfach: „Nee. Nee, irgendwie nicht“.

Und umgekehrt? Einen Song, wo man erst sagt, nee, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, und der ist es dann?

Ja, durchaus. Deswegen ist das so eine Sache, ich wähle die Songs ja nicht alleine aus, ich berate mich mit meinen Kollegen, jeder soll Vorschläge bringen, und dann kommt eben auch irgendwann ein Vorschlag, wo ich zunächst denke: „Hä? Nee! Wieso sollten wir das jetzt machen?“ Und dann kommt es plötzlich wirklich gut raus. Und deswegen sag ich auch nicht von vornherein, das hier geht und das da nicht. Auch wenn es wirklich Dinge gibt, wo man nicht über seinen Schatten springen kann: Wenn mir der Text vollkommen gegen den Strich geht oder die Melodie für mich einfach … ja, mich nicht so anspricht. Das sind dann halt Sachen, okay, die lassen wir jetzt wirklich mal. Wenn es einfach so eine – und das gibt es bei mir leider oft! – so eine spontane Abneigung gegen einen Song gibt und ich gar nicht erklären kann, wo die eigentlich herkommt … Ich kann gar nicht sagen, was es ist, irgendwie so: „Och nö, will ich jetzt nicht“. Aber es kommt durchaus vor, dass ich dann sage, okay, ich überwinde das jetzt mal und probiere es aus – schließlich kann ja nicht alles schlecht sein, was meine Kollegen sagen, es muss ja schon irgendwas dran sein. Und dann wird man manchmal auch motiviert von den anderen, weil die dann sagen, weißt du, so wie du den Song singst mag ich den! Und dann gehst du plötzlich mit so einen Schub von Motivation heran und magst dann auch, was du tust. Manchmal brauchst du das von außen.

Wobei letzten Endes Sie entscheiden, oder? Ich habe irgendwo gelesen, Sie hätten gesagt, immerhin seien Sie das, die auf der Bühne ihren Kopf dafür hinhalten müsse.

Ja, klar. Letztlich, wenn das überhaupt nicht anders geht.

Stelle ich mir schwierig vor, sich gegen ein eingespieltes Kollektiv älterer Männer durchzusetzen …

Das ist schwierig. Aber ich habe nicht den Anspruch zu sagen: „Ich bin das Maß der Dinge und ich entscheide“. Denn ich bin schlicht und einfach die, die zuallerallerletzt in diese Richtung oder ins Musikmachen überhaupt herein-
geschlittert ist und bin nicht mit diesem Lebensplan durch die Schulzeit, durch die Ausbildung gegangen und hab gesagt, das ist es, das mach ich. Das ist bei mir einfach nicht der Fall – bei den anderen schon. Deswegen kann ich ihnen nicht absprechen, dass sie einen gewissen Plan oder eine gewisse Idee haben, wie es läuft.

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift Musikmarkt beklagt gerade die Jazzsparte eine prekäre Marktsituation. Lediglich sogenannte Crossover-Künstler wie eben Norah Jones oder Diana Krall könnten Hitparaden-
erfolge feiern. Glauben Sie, dass sich der klassische Jazz – und auch das klassische Jazz-Publikum, was ja manchmal sehr konservativ ist – da öffnen muss bzw. ist auch Ihr neuer Stil recht eigentlich ein Vorstoß in Richtung Crossover?

Ich beschäftige mich ehrlich gesagt gar nicht so gerne mit der Diskussion
„Ist das wirklich Jazz oder ist das nicht wirklich Jazz?“. Ich meine, die Musik entwickelt sich weiter, die Leute sollten froh sein!

Dennoch wird diese Diskussion gerade von Jazz-Puristen vehement geführt … Sie aber verwehren sich dem Schubladendenken, habe ich das richtig verstanden? Wobei die Plattenfirma Sie ja auch irgendwo positionieren muss …

Ja klar, irgendwo muss man positioniert werden. Aber ich brauche es jetzt nicht unbedingt, die Jazz-Sängerin, die klassische Jazz-Sängerin zu sein. Ich betrachte mich schlicht und einfach als Sängerin, die sich in verschiedenen Stilrichtungen bedient und auszudrücken beliebt. Ja, ich weiß nicht … als ich angefangen habe, also wirklich als ganz junges Huhn, da hatte ich soviel mit Leuten zu tun, die meinten, „ja, weißt du, die da machen ja keinen richtigen Jazz“. Ich hab das natürlich auch mitbekommen, wie man sich total aufgeregt hat über Norah Jones … Ich meine, mich selbst hat ihre Musik nicht wirklich angemacht, aber irgendwie so zu diskutieren … Ich meine, da ist jetzt jemand erfolgreich mit dem, was er macht …

Nach dem Motto: „Darf der das überhaupt?“

Ja, genau. Das hat mich irgendwie ziemlich abgestoßen. Ich denke, jeder soll nach seiner Façon glücklich werden, und es gibt für jede Musik ein Publikum. Ich meine, es kann sich schließlich jeder selbst aussuchen, auf welches Konzert er geht oder welche Platten er kauft oder nicht kauft!

Ich glaube, um Ihre Person gibt es diese Diskussion – was macht die da jetzt, ist das legitim, was die da macht und mischt – ja auch nicht.

Vielleicht, weil ich auch nicht so die Lust habe, mich an solchen Diskussionen zu beteiligen. Das wiederum liegt daran, dass ich mir selbst gar nicht zutrauen würde, mich festzulegen auf ein Genre.

Zum Abschluss eine ganz andere Frage: Im Klangblog taucht hin und wieder meine Hündin, der äußerst musikalische „Kopfhörerhund“, auf. Haben Sie irgendeine Beziehung zu Hunden oder eher so gar nicht?

Also, als ich klein war, hatten wir einen Hund. Wir hatten eigentlich immer einen Hund. Wir hatten einen – das ist eigentlich eine ganz tragische Geschichte –, der war ein kleiner Frechdachs, total verzogen und missraten. Ich weiß gar nicht mehr, wie der Hund in die Familie kam … aber der war böse! Der war richtig böse! Der hat sich im Kohlekasten versteckt – wir hatten so einen kohlebeheizten Herd in der Küche stehen –, der hat sich also da in dem Kohlekasten versteckt, und jedes Mal, wenn wir da vorbeigingen, sprang er raus und versuchte, uns in die Beine zu kneifen. Der hat nicht richtig gebissen, der hat nur gekniffen. Und wir Kinder hatten eigentlich alle Angst vor dem Hund gehabt. Furchtbar! (Lacht) Aber irgendwie gehörte er zur Familie dazu. Ich war noch ziemlich klein. Jedenfalls ist er gerne aus-
gebüchst und dabei ist er eines Tages von einem Krankenwagen über-
fahren worden. Und dann tut es einem echt leid und plötzlich hat man dieses Zwacken in die Beine vermisst! Er war meine ganze Kindheit über da …

Wissen Sie noch, wie er hieß?

Rex.

Nicht im Ernst! Aber es war kein Schäferhund, oder?

Nein, das war irgendeine Mischung. Undefinierbar. Ja, und später hatten
wir dann einen großen Hund, einen Afghanen. Eine Hündin. Und die war das absolute Gegenteil von Rex, die war so mütterlich! (Lacht wieder) Ein ganz liebes Tier!

Das war aber, während Sie noch zu Hause gewohnt haben, nicht wahr? Und seitdem …

… hat sich das leider nicht mehr angeboten.

 

Kopfhörerhund meint: Das schreit doch förmlich nach
der Aktion „Ein neuer Rex für Lyambiko“! Wenn sie also ganz ganz viele Exemplare ihrer neuen CD verkauft … Something Like Reality erscheint am
4. Juni 2010. Bis dahin wird es auch eine Rezension auf fairaudio.de geben.

Die Zeit bis zum Erscheinungstermin können Sie sich mit dem letzten Album, einem Tribut an Nina Simone, vertreiben. Die Rezension Ohne Zuckerguss und doppelten Boden: Lyambiko’s Saffronia finden Sie hier.

Top