Ein sehr schönes Grau oder: Das Duo als „relativ nackte Art“ – Mara & David im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Ein sehr schönes Grau oder: Das Duo als „relativ nackte Art“ – Mara & David im Klangverführer-Interview

Es hat drei ganze Alben sowie den Umzug der Sängerin von Dresden nach Berlin gebraucht, bis ich das Duo endlich an meinen Wohnzimmertisch zum Interview bitten konnte. Schön, dass es geklappt hat, denn die aktuelle Veröffentlichung von Mara & David hat mindestens genausoviel Charakter und Tiefe, wie die beiden Musiker, die jenseits aller Presse-trifft-Künstler-Konventionen selten offen und unglaublich poetisch darüber sprechen, dass man sich manchmal ausdünnen muss, um sich wiederzufinden, dass ihre Musik, „auf die man schon ein bisschen zugehen“ sollte, ein schönes Gegengewicht zur Zeit ist, und nicht zuletzt darüber, dass es irgendwann dann auch mal mit dem Herzschmerz reicht. Wäre es kein so furchtbares Klischee – wie gern würde ich schreiben, dass die Stärke von Mara von Ferne und David Sick in ihrer Verletzlichkeit begründet liegt! Sie nennen es Freiheit – ich nenne es ein rundum gelungenes Interview, das gleichzeitig auch den ersten „Arbeitstag“ von Linaliebhundnachfolgehund Mira, im Folgenden: Mademoiselle Mirabelle, markiert. Viel Freude daran!

Mara_David_und_Mira
Peter, Paul & Mary – pardon: Mara, David & Mira, die den Bettvorleger gibt, in meinem Wohnzimmer

Klangverführer: Wenn etwas veröffentlich wird, was ich vor einiger Zeit geschrieben habe – und das ist ja der Regelfall, das von der Abgabe des Manuskripts bis zur Publikation eine Weile ins Land geht –, ist das für mich immer ein seltsames Gefühl, weil ich mit Kopf und Herz ja schon wieder an einer ganz anderen Sache arbeite. Geht euch das auch so, anders ausgedrückt: Wie emotional verbunden seid ihr mit Call It Freedom zum Erscheinungszeitpunkt noch? Geschrieben und aufgenommen habt ihr das Album ja vor etwa einem Jahr, oder?

David: Victoriah, Du fängst mit einer Frage an!

Mara: Es stimmt, es ist schon etwas länger her – wir gehen mal nicht ins Detail, wie lange …

David: Lass uns mal 2010 nehmen als Zeitpunkt des Songschreibens, oder?

Mara: Ja, geschrieben haben wir die Songs 2010, zum Teil 2011 …

David: 2009 sogar, oder? „Wanderlust“ ist wann entstanden? Jedenfalls sehr früh …

Mara: Und aufgenommen wurde es 2011, komplett war alles schon Ende 2011 fertig.

Wie fühlt es sich dann für euch an, wenn man jetzt überall lesen kann, es ist das *neue* Mara&David-Album?

Mara: Also, für mich fühlt es sich trotzdem relativ neu an, weil wir die Songs ja nicht so viel gespielt haben, eben um sie frisch zu halten.

David: Das ist es, was ich auch gerade dachte. Ich finde auch, dass es sich darum neu anfühlt, weil wir die Songs einfach nicht gespielt haben. Und das Album gefällt mir auch sehr gut! Wenn ich es so höre, denke ich: schönes Album! Dieser Abstand ist ja sonst nicht gegeben. Normalerweise nimmt man es auf, und dann spielt man es die ganze Zeit und dann denkt man irgendwann, diese Songs kann ich nicht mehr hören! Man steckt viel zu tief drin. Und das ist bei uns jetzt durch diesen Abstand alles so ein bisschen … schöner.

Das heißt, du siehst es sogar als Vorteil, wenn man emotional nicht mehr so sehr daran bzw. darin hängt?

David: Ja, wir hatten eine sehr intensive Zeit in Dresden, und jetzt ist das anders: Wir haben jetzt zwei verschiedene Städte und sind nicht mehr so eng, was das angeht, und das ist meiner Meinung nach auch für so einen Abstand ganz gut. Der räumliche Abstand tut uns immer noch gut …

(großes Gelächter)

Mara: Nein, im Ernst: Natürlich ist es so, dass man durch die verstrichene Zeit schon einen emotionalen Abstand zu den Songs hat, aber es ist wirklich so, dass, wenn man sie dann wieder hört, man ganz überrascht ist, wie schön sie eigentlich sind! Nicht, dass ich jetzt vorher gedacht hätte, sie wären nicht gut, aber nach einer Weile hauen sie mich dann doch noch einmal neu um!

David: Ja, man hört sie dann manchmal so wie ein Fremder, und das ist gut. Trotzdem kann man sich noch mit den Gefühlen, die man damals hatte, identifizieren; und die Musik trifft ja auch meinen und Maras Geschmack – wir haben sie ja immerhin geschrieben, da kommt man jetzt nicht auf die Idee zu fragen, was ist das denn für’n Zeug?

Abstand ist ohnehin ein gutes Stichwort: Euer letztes Album, Once We Were Gods, ist 2009 erschienen. Was habt ihr in den letzten vier Jahren bis zum Erscheinen eures aktuellen Albums musikalisch getrieben

David: Ich hatte eine Krebserkrankung und war dann auch emotional weiter weg. Ohnehin hatten wir beide da gerade so eine Phase, wo es sich etwas entspannt hat. Und das ist auch wichtig gewesen, denn wir hatten davor so eine intensive Zeit, es musste dann einfach ein bisschen … Wie nennt man das, sag du!

Mara: … ein bisschen … ausdünnen für eine Weile. Um sich dann wiederzufinden.

David: Wie auch immer! Also so eine Phase wie in einer Beziehung, man schnuppert mal woanders rein, und wenn man sich dann wieder trifft, dann hat man wieder dieses Gefühl, und dann kann man das auch wieder machen.

Mara: Es entwickelt sich auch jeder auf seine Art weiter!

David: Das ist ein gutes Stichwort für mich. Jeder für sich entwickelt Bereiche, die er noch braucht, um weiter Duo spielen zu können, intensiv weiter.

Damit hast du schon so ein bisschen meine nächste Frage vorweggenommen: In meiner Rezension eures Albums für fairaudio habe ich festgehalten, dass dieses Album für mich ernsthafter, erwachsener klingt als die beiden Vorgänger. Einmal musikalisch, da es sehr Blues-lastig ist, andererseits aber auch von den Texten her, die sich nicht mehr so sehr der Introspektion widmen, sondern auch schauen, was in der Welt vor sich geht. Was ist eurer Meinung nach in dieses Album eingeflossen, dass es sich von den Vorgängern abhebt?

David: Genau das.

Mara: Die Vorgänger waren auch noch vielmehr introspektiv auf uns im Sinne von auf das Duo bezogen. In der Phase ist für uns beide total viel passiert, Gutes und Schlechtes, und dann sind auch noch mehr äußere Einflüsse dazugekommen.

David: Es hat sich nach außen geöffnet.

Auch in dem Sinne, dass ihr beide mehr zu Individuen geworden seid?

David: Ja, sowieso! Das habe ich schon auf der Bühne gemerkt, dass man jetzt völlig bei sich selbst ist. Ich zumindest fühle mich so, wenn ich spiele. Und trotzdem völlig beieinander.

Mara: Weil man sich mittlerweile so gut kennt, dass man das sein kann. Und sich trotzdem nicht verliert.

David: Genau. Es ist zwar natürlich immer eine Gefahr, wenn man so völlig bei sich selber ist, da kann man sich auch mal verlieren, aber an sich ist das eine schöne …

Mara: Man findet sich dann auch wieder!

David: … ja, und das Finden ist auch ein schöner Prozess. Wir haben da schon so eine Selbstverständlichkeit, mittlerweile, dass es in Ordnung ist, auch mal so eine Zeit zu haben, oder Momente zu haben, wo man bei sich ist. Aber man ist irgendwie trotzdem verbunden, weil es schon so gewachsen ist! Wir haben durch dieses Intensive – und ich muss das immer wieder sagen, weil es echt intensiv war in Dresden: wir haben so viel gespielt, wir haben es auch übertrieben zum Teil und zu oft geprobt, es gewissermaßen totgeprobt; trotzdem hat sich das dadurch … mehr vereint.

Dass ihr eure Duo-Beziehung auch weniger hinterfragt?

Mara: Das Gefühl habe ich eigentlich nicht. Wir hinterfragen eigentlich schon und wir reden oft über uns.

David: Das ist auch klar. Man fragt sich ja schon, wie geht das jetzt weiter?

Mara: Durch die unterschiedlichen Städte ist das ja jetzt auch recht schwierig. Man muss es wirklich wollen und dranbleiben, damit was passiert. Man kann nicht mehr alles einfach so laufen lassen, man geht nicht mehr fünf Minuten rüber zum anderen und probt. Jetzt muss man alles organisieren und planen, das ist ja auch irgendwie erwachsener. Und man hat jetzt ja auch noch mehr Verpflichtungen! Man ist ja nicht mehr Student und kann einfach nur proben.

David: Das ist natürlich schade, das muss ich schon sagen.

Mara: Ja, das ist ein bisschen schade.

David: Man hat dann eben einen Job – wie du ja auch einen Job hast, der dich grundsichert, und dass man dann noch so was macht, und dann will man aber auch noch so was machen … Man will heutzutage so vieles so gut machen, das ist ja das Problem unserer Zeit! Ich will dann super solo spielen, ich will mit einer Frau zusammen sein, mit der alles schön läuft, mit der man sich aber auch entwickelt, was ein Haufen Arbeit ist, und dann will ich plötzlich wieder auch noch ganz viel Klassik üben, und dann ist da noch Mara, und dann spielen wir Konzerte , dann kommt die CD raus …Das ist total toll, da ist viel los, aber das ist jetzt eben nicht wie früher, wo man sagt, hey, ich hab gerade ‘nen Stipendium bekommen, ich hab jetzt ‘ne Woche Zeit …

Mara: Genau, wo man sich die ganze Zeit so völlig darauf fokussieren kann!

Das war der Vorteil des Studiums, dass man so eine Art geschützten Raum hatte, um sich auszuprobieren?

Mara: Genau, und das ist ein Luxus, den man oft erst …

David: … hinterher erkennt. Und es war ja nicht nur im Studium. Mara hatte noch studiert, ich nicht mehr, da hatten wir ja wahnsinnig intensiv geprobt und getan … Und es ist einfach gut, wenn man das macht, das kann man eigentlich gar nicht in Frage stellen. Dieses Intensive ist es eigentlich. Da entwickelt sich das Zeug weiter. Aber was jetzt bei dem neuen Album eben ist, diese Öffnung nach außen, da hab‘ ich auch gedacht, dass wir das mal machen müssen. Ich habe das auch schon beim Songschreiben so gesagt, und Mara hat das auch so gesagt, und dann haben wir das auch so gemacht. Das war nicht nur ein Gefühl, sondern auch so ein bisschen ein Konstrukt, also, dass wir das so wollten!

Mara: Ich finde aber auch, dass man in den Aufnahmen hört, dass es für uns beide so eine besondere, so eine krasse Zeit war. Ich finde, man hört in uns beiden so eine gewisse Verletzlichkeit – die mir total gut gefällt und von der ich weiß, dass man die so nicht mehr reproduzieren kann.

David: Schön gesagt. Ja, genau. Also ich finde auch, man hört so etwas Graues. Ein sehr schönes Grau. Und ich finde ein Song, dieser ruhige Tango, wie heißt der? …

Mara: Winter Sky.

David: … Winter Sky der ist so bezeichnend für die Platte. Oder auch der letzte Song. Die sind alle so ein bisschen …

Melancholisch?

David: Nee, das ist so ein Gefühl … Das kann man nur hören! So ein grauer Himmel, eigentlich. Und so eine Welt, die sich verändert. So ein bisschen Endzeitstimmung. Leicht. Latent. So ein bisschen: Was passiert denn auf der Welt? Man guckt sich auch um.

Ihr habt diesem „grauen“ Album ja den Titel Call it Freedom gegeben – was ist es, das ihr Freiheit nennt, und was bedeutet Freiheit für euch?

Mara: Der Titel hat natürlich mehrere Aspekte. Zum einen bezieht er sich auf den Titelsong, da geht es darum, dass der Begriff „Freiheit“ heutzutage auch ja oft total pervertiert verwendet wird …

Also politisch?

Mara: Ja, im Weltgeschehen. Für uns persönlich hat der Titel dann noch die Bedeutung, dass es das letzte Album ist, was wir mit unserer aktuellen Plattenfirma machen.

Bleiben wir beim politischen Aspekt des Titels: Jazz thing hat den Titelsong ja als „gutmenschelnd“ bezeichnet … Wie geht ihr generell mit Kritik um?

David (zu Mara): Mach du!

Mara: Also, naja … Ich erinnere mich, dass das zweite Album ein paar zum Teil richtig fiese Kritiken gekriegt hat, die mich dann doch getroffen haben.

David: War das das, wo man geschrieben hat, wir sollten mal ‘ne Querflöte dazu nehmen, oder war das das erste Album?

Mara: Das war das erste Album, aber das war so’ne kleine Zeitung, da hab ich dann gedacht, naja (macht eine wegwerfende Handbewegung). Aber das zweite Album, das hatte zum Beispiel auch eine Mini-Kritik im Rolling Stone, wo wir nur zwei Sterne hatten und darauf rumgeritten wurde, dass wir studiert haben, das war ein bisschen gemein. Klar, als ich das gelesen habe, hab‘ ich mich schon aufgeregt. Aber was soll man denn machen, ich meine: Wenn man über Liebeskummer schreibt, dann ist das alles zu introspektiv, und wenn man dann halt über Politik schreibt …

… ist es wieder zu gutmenschelnd.

Mara: Genau.

David: Dabei ist das Album gar nicht so politisch. Ich meine, es ist ein bisschen Politik dabei, aber gar nicht so krass – da gibt es ja ganz andere Leute, Ani DiFranco oder so!

Mara: Ja, wir sind relativ poetisch geblieben, auch in der politischen Diskussion.

David: Es ist vielleicht mal der Versuch gewesen, dass das ein bisschen mehr ist, aber das ist halt auch nur ein Song! Es ist ja sowieso alles Politik, was man macht, aber so ein Song ist eben trotzdem noch Poesie.

Mara: Und ich finde ihn auch nicht gutmenschelnd.

David: Nee, gar nicht!

Find ich auch nicht. Heißt das, Kritik berührt euch gar nicht, wenn sie offensichtlich danebenliegt?

Mara: Naja, erstmal ist man natürlich trotzdem so ein kleines bisschen gekränkt.

David: Ich hab mich schon dran gewöhnt. Wie gesagt, beim Vorgängeralbum gab es mehr von wirklich harter Kritik.

Mara: Ja, das war mehr gespalten. Und jetzt hab‘ ich das Gefühl, das Gros der Meinungen ist uns wohlgesonnen – wobei ich auch schon ein paar andere Rezensionen gesehen habe, wo definitiv nichts Schmeichelhaftes drinstand, zum Beispiel, ich sollte doch lieber Deutsch schreiben, dann müsste ich im Englischen nicht so viele einfache Worte benutzen …

Oh, das ist wirklich ziemlich gemein!

David: Das hast du ja noch gar nicht erzählt!

Und wie gehst du damit um, wenn du so etwas liest?

Mara: Das ist natürlich schon ein bisschen schwierig. Man muss erst einmal gucken, wie man dazu steht. Ich hab‘ da schon drüber nachgedacht. Aber dann hab‘ ich mir wiederum überlegt, dass ich meine Songs vor der Veröffentlichung auch einigen Native Speakern gezeigt habe, die sie auch für gut befunden haben. Ich schäme mich eigentlich nicht für mein Englisch und finde auch nicht, dass ich nur einfache Worte verwende. Ich bin zufrieden mit den Texten, ich mag das Album sehr.

Du überprüfst Kritik also sogar darauf, ob sie einen wahren Kern haben könnte.

Mara: Ja.

Mara&David

Anderes Thema: Als ich für dieses Interview recherchiert habe, bin ich im Zusammenhang mit eurem Debüt Sixteen Secrets darauf gestoßen, dass ihr eure Musik als „acoustic passion“ versteht …

David: Ach, um Gottes willen!

(kollektives Aufheulen)

Moment, das war noch nicht die Frage! Die ist: Was macht für euch die Faszination akustischer Musik aus, weshalb sollte man sie im von elektronischer Musik dominierten Zeitalter hören?

David: Na, sie ist einfach phantastisch! Ich finde es total geil, akustische Gitarre und Gesang – diese Luft, die dazwischen ist, und diese Freiräume … Das ist auch ein schönes Gegengewicht zu der Zeit, und dabei sind wir trotzdem so nah dran, denn ich verwende die Gitarre so hart, dass die Bässe aufgedreht sind. Ich biedere mich der Zeit mit meinem Gitarrensound also trotzdem an. Und Maras Texte auch …

(widersprüchliches Gemurmel von Mara)

… dazu kann sie ja gleich selber noch was sagen, aber ich finde vor allem, dass diese Luft und dieses Akustische und dieses Puristische, ich finde es total schön, dass wir da auf wenig Effekthascherei setzen. Ich würde so eine Musik auch selber gern hören. Einfach so als Ausgleich zu diesem anderen druckvollen, komprimierten, heftigen Zeug. Ich meine, wir komprimieren unsere Songs ja auch, aber mit Augenmaß!

Luft auch im Sinne von Raum?

Mara: Ja.

David: Ja. Also auch Zwischenraum, aber auch Raum, der beim Spielen entsteht – und aber auch einfach Stille. Mehr Stille. Nicht alle Frequenzen sind abgedeckt.

Um die Hörer auch wieder vermehrt zum Zuhören zu zwingen?

David: Zwingen wollen wir die Hörer nicht!

Mara: Naja, aber es stimmt schon. Zwingen nicht direkt … aber es erschließt sich Vieles ja auch nur, wenn man wirklich zuhört. Es ist ja keine Musik, die man einfach so laufen lassen kann, weil sie so voll ist und einen einfach so irgendwohin mitnimmt. Man muss schon ein bisschen drauf zugehen, hab ich den Eindruck.

David: Den Eindruck hab ich auch.

Mara: Ich glaube aber auch, dass das mit dem akustischen Sound und so einfach etwas ist, was uns gefällt und was wir können. Ich hab‘ das Gefühl, wir brauchen da nicht viel anderes, aber trotzdem hab‘ ich nicht den Eindruck, dass jetzt diese Musik auch 1960 schon hätte entstehen können. Ich finde, man hört doch irgendwie den Einfluss von heute.

Es geht hier also nicht um den zeitlosen Aspekt von Stimme und Gitarre …

David: Der spielt da sicher mit rein …

Mara: Doch, schon, wir versuchen schon irgendwie zeitlos zu sein. Aber gleichzeitig leben wir ja auch in dieser Welt und finden das auch gut so!

David: Ich finde, es ist eine relativ nackte Art, dieses Gesang-Gitarre. Und das gefällt mir gut. Ich komme da schneller in ein Gefühl rein, weil die Stimme so nackt ist, die wird nicht von einem Kontrabass oder so getragen. Es ist auch ein bisschen schwierig, damit jetzt erfolgreich zu sein, weil es eben der gängigen Frequenzabdeckung zuwiderläuft, auf die das Gehör schon abgerichtet, schon konditioniert ist. Der entspricht das eben nicht.

Mit dieser, wie du sagst: Nacktheit, macht man sich dann aber auch extrem verletzlich … Wenn ich mich jetzt ins Studio stelle und auf irgend so einen krassen Monsterbeat singe, zeige ich mich ja auch viel weniger!

Mara: Ja. Aber trotzdem. Gerade deshalb!

David: Das Verletzliche geht auch irgendwie weg, wenn man zu zweit ist, weil man ja mit sich schon eine Einheit bildet und dadurch auch sehr verletzlich spielen kann, aber man ist in dem Moment aufgehoben und warm.

Mara: Und die Verletzlichkeit ist ja auch ein Schatz. Damit, dass man von sich selbst so etwas Verletzliches nach außen trägt, gibt man dem Hörer ja auch die Chance, sich zu öffnen.

David: Ja, das finde ich auch. Wir sehen das als kleine Schatzkiste an und nicht als fettes Projekt, was jetzt in allen Charts oder auf allen Radiostationen in einer Super-Schleife, in der Heavy Rotation, läuft, ist ja klar. Und das ist aber auch schön, das ist was Gutes!

Machen wir einen Themensprung. Mir brennt da noch eine Frage unter den Nägeln, die sich bei einem Duo automatisch aufdrängt – und nein, keine Angst, es ist nicht die „Seid ihr eigentlich auch privat ein Paar?“-Frage …

(großes Gelächter)

… Vielmehr will ich wissen: Gab es irgendwann so eine Art Mara&David-Schlüsselmoment für euch, den ihr ganz klar benennen könnt, wo völlig klar war, das ist es jetzt, wir bleiben zusammen?

David: Es gab viele kleine Schlüsselmomente, der eine große fällt mir jetzt nicht … dir?

Mara: Doch, ich muss spontan sagen, bei mir war das eigentlich schon so, als wir das erste Mal geprobt haben und als wir diesen Song geschrieben haben, der war irgendwie noch so total unfertig und komisch und roh, aber irgendwie habe ich da gewusst: Okay, das will ich weitermachen, diesen Gitarristen will ich mir warmhalten. (lacht) Den muss ich bezirzen, dass das was Richtiges wird!

David: Klar, da war von Anfang an Magie drin, aber …

Mara: Oder als wir „Masquerade“ geschrieben haben! Weißt du das noch?

David: Ja, eben! Das wollte ich auch sagen: Bei jedem Song, den wir geschrieben haben, gab es eigentlich so einen magischen Moment! „Weeping Clown“ – total magischer Moment …

Mara: Ja, krass!

David: … oder „What Is There“ von der neuen CD, ein magischer Moment, der plötzlich im Raum war – das ist halt einfach dieses Kreative, was einen zusammenschweißt! Das Songschreiben. Das ist das Elementare an unserem Duo.

Wie muss ich mir das denn vorstellen, wenn ihr zusammen Songs schreibt? Mara, du schreibst die Texte allein. Sind die dann erstmal als eine Art Gedicht fertig und David vertont den fertigen Text oder wie sieht das aus?

Mara: Nee, so überhaupt nicht. Es ist eher so … Manchmal hab ich irgendwie schon eine Textidee, aber das ist eher selten. Meistens improvisieren wir so vor uns hin … und alles ist blöd … und wir denken nur, Gott, wir sind total unkreativ, nichts geht mehr, die Magie ist weg …

David: Alles ist doof, wir wälzen uns im heißen Sommer auf dem Teppichboden …

Mara: … schließen uns ein, trinken Kaffee …

David: … und bauen einfach immer wieder an dieser einen Idee rum, das ist schlimm, das dauert Tage! Ein Zustand der völligen Lethargie, nichts geschieht – und dann kommt eben dieser Moment …

Mara: … dabei machen wir zwischendrin immer wieder „Pep-Talk“, so nach dem Motto, naja, es ist ja normal, drei Tage muss man sich quälen, und dann …

David: Dabei ist das gar nicht immer so! Manchmal ist es auch richtig fies, dann geht es sogar sechs Tage so!

Mara: Manchmal geht es auch schneller. Ab und zu hat man mal Glück und es zündet direkt – aber das ist selten.

Ihr sitzt also nicht mit einem vorgefertigen Konzept da, nach dem Motto, wir möchten jetzt einen Song über das Thema xy schreiben …

Mara: Nee, überhaupt nicht!

David: Null!

Mara: Sehr intuitiv …

David: Bauchgefühl regiert! Aber nicht beim Song-Machen, da überlegen wir schon genau.

Mara: Nur beim Schreiben! Sobald der Song fertig ist, wird er sehr bewusst …

David: … arrangiert.

Es ging mir ja auch darum, wie eure Songs überhaupt entstehen. Wenn Mara aber die Texte quasi in Eigenverantwortung schreibt, mischt du dich, David, da auch mal ein und sagst, sorry, diese Zeile hier geht gar nicht? Hast du da eine Art Vetorecht oder hältst du dich da total raus?

David: Ich habe absolut ein Vetorecht und hab auch schon zwei-, dreimal gesagt, hey Mara, also diese Zeile ist jetzt doof.

Mara: Das macht er vor allem, wenn ich anfange, von irgendwelchen Fabelwesen zu schreiben …

David (lacht): Das geht immer schief! Wir haben ein paar Songanfänge von Fabelwesen, und die sind immer für die Tonne!

Mara: Oder irgendwelche komischen Tiere …

David: Also, wenn schon irgendwas mit so’nem Viech kommt …

Mara: Wobei, Tiere gehen ja noch, das geht manchmal klar …

David: Stimmt, Möwen und so … aber Fabelwesen – da ist der Ofen aus! Das haben wir aufgegeben.

Und du hörst dann auch auf David?

Mara: Klar. Gestritten haben wir uns da eigentlich noch nie. Ich finde ja auch oft Sachen, die er spielt, doof …

(wieder großes Gelächter)

Mara: … aber ich weiß mittlerweile schon, dass ich dann ein bisschen warten muss und es dann meistens wird! Was allerdings blöd ist, ist oft, dass gerade die Teile, die mir am besten gefallen, irgendwie rausfallen, weil sie dann nicht mehr passen. Das passiert häufiger. Manchmal kann man daraus aber einen neuen Song machen!

Oder die B-Sides, für später!

David: Es gibt eigentlich gar nicht so viele B-Sides, weil wir dieses System entwickelt haben, dass wir immer bis zum Ende schreiben …

Mara: Ich meinte jetzt auch eher so bei ’nem Song, wenn man dann noch so ein Teil übrig hat … So wie dieser schöne Anfang, der nach „Winter Sky“ kommen sollte und wo du jetzt einen eigenen Solo-Song draus gemacht hast …

David: Ja, also, ich verwurste das dann auch manchmal solo, das Zeug! (lacht)

Auf die Solo- bzw. Nebenprojekte will ich in meiner nächsten Frage, die dann auch die letzte sein wird, noch einmal zurückkommen. Jetzt möchte ich aber erst einmal noch bei euren Songs bleiben. Euer letztes Album bestand ausschließlich aus Eigenkompositionen. Auf eurem Debüt gab es schon mal ein Ani DiFranco-Cover und eins von den Smashing Pumpkins. Call It Freedom wartet auch mit zwei Coverversionen auf, einmal von Portisheads Glory Box und einmal von Fleetwood Macs Little Lies. Welche besondere Verbindung habt ihr zu diesen Songs, dass sie es auf eure Platte geschafft haben?

David: Fleetwood Mac habe ich halt als Kind rauf und runter gehört, also, gerade diesen Song …

Mara: Ja, das war definitiv dein Vorschlag, ich kannte den gar nicht so gut, nur so aus dem Radio. Aber irgendwie dann – mochte ich ihn auch.

David: Ich hatte schon als Kind gedacht, dass ich ihn irgendwann mal covern will. Intuition. „Glory Box“ hingegen – ich weiß noch, ich habe ein YouTube-Video gesehen, wo Beth Gibbons das live gesungen hat, und ich dachte nur, ey, das passt wahnsinnig gut zu Mara! Das fand ich cool.

Die beiden Cover-Geschichten waren also beides deine Ideen …

David: Bei Glory Box weiß ich nicht mehr so genau. …

Mara: Bei Glory Box bin ich mir auch nicht mehr so sicher. Zu dem Song habe ich schon auch eine Beziehung, den habe ich auch in so einer bestimmten Phase in meiner komischen ersten WG in Berlin recht viel gehört und mochte so dieses Verruchte! Aber wer genau den jetzt vorgeschlagen hat, kann sein, dass du es warst.

David: Ich weiß nur noch, wie ich vor diesem Video saß! Wir haben übrigens auch andere Sachen gecovert, die nicht auf dem Album sind. Dafür haben wir die zwei genommen, von denen wir dachten, sie passen am besten rein. John Lennon oder Nirwana haben wir nicht mit aufs Album genommen, obwohl die live manchmal sogar stärker sind, Sachen eben, die man von früher als Kind oder Jugendlicher kennt, mit denen wir aufgewachsen sind.

Wir haben es vorhin schon mal angesprochen: Ich weiß, dass ihr neben dem Duo auch noch Solo- bzw. Nebenprojekte macht und Lehraufträge habt – gibt es auch noch ein Leben jenseits der Musik für euch?

Mara: Ich lauf ja Marathon jenseits der Musik. Das ist dann für mich auch mein Leben.

David: Es ist schon viel Musik bei mir. Ich treff‘ auch gerne Freunde oder bin mit meiner Freundin zusammen, aber ansonsten … Das Private ist eben privat.

Mara: In Dresden haben wir uns viel mehr eingeschlossen, aber seit ich in Berlin bin, habe ich ein bisschen mehr verstanden, dass auch zu der Musik dazugehört, dass man sich auch anderen Musikern und anderen Leuten mehr öffnet.

Du meinst, es tut dann auch der Kunst wieder gut, wenn man außerkünstlerischen Aktivitäten nachgeht?

Mara: Ja, irgendwoher muss man ja auch wieder seine Inspiration nehmen – man hat ja nicht immer so starke Gefühle aus sich selbst heraus!

David: Und selbst wenn, dann würde es ja immer nur klingen wie etwas aus sich selbst heraus, das man nach außen lenkt …

Mara: Ja, irgendwann ist auch genug mit Herzschmerz!

David: Wobei das natürlich immer ein Thema ist …

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Call It Freedom ist am 30. August auf Ozella Songways erschienen. Klangblog-Leser können ein Exemplar gewinnen – einfach eine Mail an an kontakt@klangverfuehrer.de schreiben. Viel Glück!

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