Immer noch interkontinental und hochemotional: der European Release von Sissita’s Soul Tangos – klangverführer | Musik in Worte fassen

Immer noch interkontinental und hochemotional: der European Release von Sissita’s Soul Tangos

Als ich die Soul-Tangos von Sissy Kudlicska aka MisSis zur PLatte des Monats der April-Ausgabe von Victoriah’s Music auf fairaudio gemacht habe, hat mir das einigen Ärger eingebracht. Zu jenem Zeitpunkt waren Sissita’S Soul Tangos hierzulande nämlich ausschließlich entweder als teurer Import oder als digitaler Download zu haben. Und nicht jeder Leser teilt meine Einstellung, dass ein seltener Import die Blaue Mauritius einer jeden Plattensammlung ist; und trotz einer durchaus annehmbaren Datenrate von 320 kbit/s lehnen manche digitale Musikdateien immer noch kategorisch ab, auch wenn ich mich bemühe, hier Erziehungsarbeit zu leisten, da die Zukunft ohnehin der Musikdatei und weniger dem physischen Tonträger gehören wird.

All das war natürlich noch lange kein Grund, Sissita’S Soul Tangos zur Platte des Monats zu machen. Vor allem nämlich war ich von der Platte restlos begeistert. Tango und Soul geht nicht? Und wie das geht, und zwar so gut, dass einerseits eine ernstzunehmende Tango-Platte dabei herausgekommen ist, wofür schon allein Tango-Produzent Ariel Gato garantiert; andererseits hat MisSiss eine Stimme, von der Retorten-Soul-Diven nur träumen können – und Tango-Sängerinnen sowieso.

Lange Rede, kurzer Sinn: Der teure Import hat vorgestern eine europäische Schwester bekommen; seit dem 9. September sind Sissita’s Soul Tangos überall in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf herkömmlichem Wege zu beschaffen. Noch dazu schenkt uns der European Release drei neue Songs. Während die südamerikanischen Soultangos mit ihren sieben Songs noch eher als EP daherkamen, können wir uns gleich zehnmal an Sissita erfreuen. Auch an der Reihenfolge der Lieder wurde gestrickt; und es ist immer wieder schön zu sehen, wenn eine gewisse Albumdramaturgie gelingt. Mit der zackigen Geige auf A new life steigt MisSiss viel tangoesker in das Album ein als in den südamerikanischen Release. Gleich bleibt die Stimme von Ms. Kudlicska, die – auch wenn sie von tiefster Verzweiflung singt – ihre Hörer seltsam zu trösten vermag. Bestes Beispiel: der Tochter-zu-Vater-Song As I Care For You. Schönste Stelle: Tell me, are you proud of me? Es ist schwer zu beschreiben. Es ist, als wohne dieser Stimme ein sich irdischen Normen entziehendes sakrales Element inne. Wenn Sissy singt, ist das wie ein Gebet. Das habe ich zwar von dem einen oder anderen Künstler auch schon geschrieben, doch lag es dort immer an dem Lied, das eher Psalm als Popsong war. Bei Sissy ist es die Stimme, die selbst beim abgebrühtesten Kritiker dafür sorgt, dass sich alle Härchen seines Unterarms aufstellen.

Auch wenn die sieben älteren Lieder bereits besprochen wurden, möchte ich eines von ihnen noch einmal besonders hervorheben: Colder. Colder ist eine große Ballade, die sich hinter solche tränenschwangeren Stücken wie Unbreak My Heart von Toni Braxton oder My All von Mariah Carey nicht verstecken muss – nur ohne deren Pathos, dafür mit Bandoneon. Der Anfang von Dancer geht in eine ähnliche Richtung, doch entwickelt sich der Song bald zum wahnwitzigen Uptempo-Tango. Großartig ist das!

Einzig Nightmares und Far More können MisSiss’ Gospelvergangenheit allzu sehr nicht verleugnen – Geschmackssache. Die neuen Songs indessen – A new life, Sissita’s waltz und Wait! – sind bedeutend fröhlicher als die alten, ja, kippen im Refrain sogar in eine lebensbejahende Dur-Tonart und bestechen durch Tempo. Scheinbar ging es MisSiss aufgrund des südamerikanischen Erfolges gut, als sie sie geschrieben hat. Denn geschrieben hat sie sie alle. Sissy Kudlicska ist keine von den Sängerinnen, die sich von einem Produzententeam ihre Songs auf den schönen Leib schreiben lässt – das macht sie lieber selbst. Eigentlich müsste man vor so viel Talent Angst bekommen.

Dabei muss man vor der Soultango-Sängerin keine Angst haben, denn sie ist obendrein auch noch sehr nett. Wenn alles klappt, ist sie demnächst hier im Klangverführer-Interview zu lesen. Die Zeit bis dahin lässt sich mit ihrem Album gut überbrücken.

Comment (1):

  • Sonja Autheried

    Großes Gefühl und unglaublich berührend. Musik, die einem nicht mehr loslässt.

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